Marketingstrategen großer Unternehmen können sich eine Menge von „Herr der Ringe“ und „Rosenkranz und Güldenstern sind tot“ abschauen, glaubt Christian Spließ. Der Social Media Manager aus dem Ruhrgebiet nutzt derzeit Storytelling im Rahmen eines Projekts der Stiftung Zuhören in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk. Auf Socialmedia-Blog.Net spannt er im Rahmen von drei Fachbeiträgen den Bogen von Aristoteles bis zur Milka-Werbung.
Analysiert man die Bestseller des Buchhandels, gewinnbringende Hollywoodfilme oder Serien, wie „Breaking Bad“, kommt man rasch zur Erkenntnis, dass ihnen meistens ein Schema zugrunde liegt: die Heldenreise. Besonders in der Fantasy ist das typisch: Zu Beginn der Geschichte ist der Held unscheinbar, führt ein normales Leben. Er gerät dann durch Umstände an einen Punkt, der ihn aus seinem Leben herausführt. Bilbo Beutlin etwa wird von Gandalf zum Meisterdieb ernannt und somit gerät sein kontrolliertes Leben aus den Fugen. Der Held muss dann verschiedene Hindernisse überwinden und wählt sich einen Gefährten. Er wird durch die Ereignisse gestärkt und entwickelt sich charakterlich weiter bis am Ende der große Gegner überwunden werden muss. Beim „Kleinen Hobbit“ wäre das Smaug, der Drache, im „Herrn der Ringe“ Sauron. Der Autor Joseph Campbell hat 1949 dieses Schema der Heldenreise in „Der Held mit den Tausend Gesichtern“ herausgearbeitet.
Während die Heldenreise zum klassischen Werkzeug eines Storytellers gehört – allerdings ist das Schema kein Garant für einen Erfolg – ist das Storyverse (etwa: Storyversum) eine Erkenntnis der jüngeren Vergangenheit. Ein Storyversum ist der Hintergrund, das Universum, die Welt, in der die Geschichte des Helden spielt. So hat Tolkien für den „Herrn der Ringe“ Mittelerde genau geplant: Von den Sprachen, die ihre eigene Grammatik besitzen, über die Genealogie und Abstammung der Helden, vom Schöpfungsmythos bis hin zum Ende des Dritten Zeitalters. Tolkien hat all dies festgelegt und dieser Kosmos dient als Hintergrund für die Geschichten, die Tolkien im Hobbit, dem Herrn der Ringe oder dem Silmarillion erzählt. Und gleichzeitig sind sie Hintergrund für unzählbare Geschichten von Fans, die eigene Charaktere erfinden oder Bilbos Geschichte aus einem anderen Blickwinkel erzählen. Letzteres gibt es sogar in der klassischen Literatur: „Rosenkranz und Güldenstern sind tot“ ist nichts anderes als die Geschichte von Hamlet aus der Perspektive der beiden Randfiguren erzählt.
Geschichten transportieren Botschaften
Storyversen sind allerdings bisher bei dem, was Firmen und Institutionen unter Storytelling verstehen noch nicht dabei. Diese verwenden eher die bekannten Elemente der Heldenreise und die Erkenntnisse, die Aristoteles und nach ihm etwa Gustav Freytag verfeinert haben. Die klassische Öffentlichkeitsarbeit sowie die PR entdecken nach und nach das Feld für sich und erkennen: Botschaften lassen sich mit Geschichten viel besser transportieren, weil das menschliche Gehirn Geschichten liebt und die Spiegel-Neuronen selbst fiktive Ereignisse real erscheinen lassen. Es geschieht selten, dass Werbespots zu Tränen rühren oder enthusiastische Freude verbreiten. Aber durch Emotionen prägen sich Botschaften besser ein. Wie man gesehen hat, sind diese Techniken an sich nicht neu. Das Transmedia-Storytelling aber verknüpft die Elemente auf eine neue und meist spielerische Art und Weise.
Wo findet man nun den Storyteller?
Es gibt in Deutschland bisher nur wenige, die wie John Marcus Brown als Selbstständige Storys konzeptionieren und für Unternehmen anbieten. Im Unternehmen finden sich die Kompetenzen des Storytellers in der PR- oder Social Media-Abteilung. Denn besonders für Social Media ist die Form der Geschichte, das Transmedia-Storytelling von Bedeutung und mit einfachen Mitteln zu verwirklichen. Anders als beim Social Media Manager wird man aber kaum jemanden im Betrieb finden, dessen Stellenbeschreibung „Storyteller“ lautet. Wichtig aber sind die Kenntnisse über die Art und Weise wie Geschichten erzählt werden – denn der Mensch ist nicht nur ein Homo Sapiens sondern in erster Linie ein Homo Narraticus.
Christian Heiko Spließ, der Autor dieses Beitrags, ist seit vielen Jahren selbst aktiver Blogger. Auf NurMeinStandpunkt schreibt er regelmäßig Beiträge zu aktuellen Entwicklungen im Bereich Neue Medien
Bildnachweis: Gustav Freytag, porträtiert von Karl Stauffer-Bern, 1886–1887