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526 bedeutet: „Ich habe Hunger!“

Chinesen haben eine besondere Vorliebe für Zahlenspiele. Nirgends wird das deutlicher als in sozialen Netzwerken, wie Sina Weibo, Weixin und QQ. Für Social Media Experten eine besondere Herausforderung. Wer Chinesen wirklich verstehen möchte, sollte in der Lage sein, die Geheimcodes der Nutzer zu knacken, glaubt Gastautorin Josefine Schaefer. Auf Socialmedia-Blog.Net erzählt sie, was sich hinter mysteriösen Kombinationen wie 520 oder 9494 verbirgt:

Zum ersten Mal stutzig wurde ich, als sich meine Freundin Yu Ting in ihren Nachrichten nicht mehr richtig von mir verabschiedete — statt einem Gruß plötzlich drei Zahlen: 886! Als ich sie darauf ansprach, lachte sie nur und erzählte mir, dass die Zahlenfolge „Tschüss“ bedeutet und dass ich mich mal im Internet umsehen sollte, da „886“ nicht die einzige Abkürzung sei. Und tatsächlich: Was man in chinesischen Chatrooms zu lesen bekommt, hat nur noch wenig mit dem Mandarin zu tun, wie man es aus Lehrbüchern kennt. Neben den „gewöhnlichen“ Schriftzeichen stößt man zunehmend auf (arabische) Zahlenkombinationen, lateinische Buchstabenkürzel und völlig neue Zeichen, die sich in keinem Wörterbuch finden lassen — was geht hier vor?

Sina Weibo stellt chinesische Sprache auf den Kopf

Viele ältere Chinesen sind – wie in anderen Ländern auch – empört über die neusten Entwicklungen der Jugendsprache und fürchten den Verfall des Schriftsystems. Sprachwissenschaftler und Social Media Experten hingegen sind fasziniert von den Möglichkeiten, die das Chinesische für Kreativität lässt. Lediglich die Teenager vor ihren Laptops interessieren sich wenig für die langfristige Veränderung ihrer Sprache. Ihnen scheint es hauptsächlich darum zu gehen, sich möglichst unkompliziert im Netz zu unterhalten (ob mit oder ohne Schriftzeichen).

Das chinesische Schriftsystem hat eine lange Geschichte und viele Veränderungen hinter sich — doch auf einer Tastatur zu schreiben bedeutet etwas völlig anderes als mit einem Pinsel auf Seide zu malen. Mit der zunehmenden Bedeutung von sozialen Netzwerken, wie Sina Weibo oder Weixin, haben sich viele Ausdrücke entwickelt, die selbst deutsche User mit fortgeschrittenen Chinesisch-Kenntnissen kaum verstehen.

Waren es am Anfang nur Tippfehler?

Bei Zahlenkombinationen, wie 028 („Komm her“) oder 51020 („Ich lieb’ dich immer noch“), verstehen selbst Social Media Experten meist nur noch Bahnhof. Statt Schriftzeichen werden Zahlen häufig aneinander gereiht, deren Lautfolge und Betonung in etwa dem Wort entsprechen, dass sie ersetzen. Beispiele: 520 wǒ ài nǐ, „Ich liebe Dich“; 687 duì bù qǐ, „Entschuldigung“ oder 886 für bāi bai le, „Tschüss“. Mit ein wenig Kreativität lässt sich, wenn man es mit der Aussprache nicht so genau nimmt, fast alles in Zahlen ausdrücken: 9494, jiù shì jiù shì, „So ist es“.

Wo Zahlen nicht ausreichen, greift man auf Buchstaben zurück. Abkürzungen wie GG (哥哥, Bruder) und MM (妹妹, Schwester) als freundschaftliche Anrede im Chat, sind keine Seltenheit. Sogar ganze Phrasen wie pāi mǎ pì (拍马屁), „jemandem schmeicheln“, oder das weniger freundliche „他妈的!” (tā mā de) können bei Bedarf auf drei Buchstaben reduziert werden: PMP und TMD. Diese Abkürzungen sind nicht nur zeitsparend, sie werden auch dazu genutzt, die Zensur zu umgehen. Viele Wortkreationen sind aus einfachen Tippfehlern heraus entstanden, die sich im Laufe der Zeit immer mehr eingebürgert haben. So zum Beispiel „dà xiá”, was im neueren Sprachgebrauch so etwas wie „Internetexperte“ bedeutet und seinen Ursprung in dem Wort für „Ritter“, „Held“ (大侠,) hat.

Fazit: Unklar, wohin die Reise geht

Die in sozialen Netzwerken verwendeten Codes werfen viele Fragen auf: Wenn alles immer schneller und effizienter sein muss, wird dann in 30, 40 Jahren überhaupt noch jemand mit den Zeichen arbeiten, die wir heute kennen oder werden Buchstabenkürzel demnächst zur Kommunikation ausreichen? Können Schriftsysteme, wie das Chinesische, langfristig im Netz bestehen? Wie machen sich Social Media Monitoring-Anbieter (Stichwort: “Emotionsanalyse”) die Codes der chinesischen User zu nutze? Den scheinbar spielerischen Umgang mit der chinesischen Sprache im Internet finde ich faszinierend und ich muss sagen, ich bin fast ein wenig neidisch, wenn ich China und Deutschland miteinander vergleiche: LOL, THX und RBTL können wohl kaum mit der Kreativität der Chinesen mithalten [Ursprünglich erschienen auf Sinonerds].

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